Das Interview mit Andrea Specht wurde am 19.07.2025 auf der Homepage des MINDO Magazin veröffentlicht.
Mein Haus, mein Auto, mein Boot – macht uns das glücklich? „Eher nicht“, sagt Matthias Hipler, „denn das Geheimnis des Glücks liegt tiefer.“ Was uns echte Erfüllung schenkt, hat der Coach und Psychotherapeut im Interview verraten
MINDO: Herr Hipler, in Ihrer Tätigkeit als Coach und Therapeut beschäftigt Sie immer wieder auch das Thema Glück und Zufriedenheit. Was ist Glück?
MATTHIAS HIPLER: Nach meiner Überzeugung gibt es glückliche Momente, zum Beispiel wenn ich mich verliebe, wenn ein Kind geboren wird oder das Traumauto in der Garage parkt. Glück ist aber kein dauerhafter Zustand. Es fliegt mir zu, aber ich kann es nicht erstreben. Glück als Lebensziel macht daher nicht wirklich Sinn.
Warum suchen wir dann so sehr danach?
HIPLER: Weil wir einem Irrtum unterliegen. Weil ich zum Beispiel glaube, in einer Partnerschaft müsse ich dauerhaft glücklich sein. Doch dann mache ich bald die Erfahrung, dass es Probleme und Konflikte gibt, dass das Glück eben nicht von Dauer ist und bin zutiefst gefrustet. In der Psychologie spricht man von einem Paradoxon, das heißt derjenige, der nach Glück strebt, ist auf dem sichersten Weg, sich unglücklich zu machen. Glücksmomente können wir nicht machen. Der Weg zu einem ausgeglichenen Leben ist der der Zufriedenheit.
Weil Zufriedenheit ein Zustand ist, anders als das momenthafte Glück?
HIPLER: Ja, Zufriedenheit ist eine innere Haltung, die ich beeinflussen kann. Die psychologische Forschung bestätigt zunehmend, dass unsere Lebenszufriedenheit nur zu einem Bruchteil von äußeren Umständen abhängt. Dann gibt es noch den Teil, der genetisch bedingt ist – ob jemand eher optimistischer oder pessimistischer gestimmt ist, verdanken wir unseren Eltern oder Großeltern. Das Gros aber, ich würde sagen mehr als 50 Prozent, liegt in unseren Händen, ob wir eine innere Haltung der Zufriedenheit einnehmen.
Wie kann ich diese Haltung fördern?
HIPLER: Da gibt es eine ganze Reihe von Hilfestellungen, Fertigkeiten und Fähigkeiten. Erst einmal ist eine Standortbestimmung wichtig: Wie zufrieden bin ich auf einer Skala von 1 bis 10, wenn 10 das allerbeste Leben darstellt, das ich leben könnte, 1 das allerschlechteste? Beispielsweise sehe ich mich gerade auf der 6. Ein bisschen erlebe ich Zufriedenheit, aber da ist noch Luft nach oben. Und dann habe ich verschiedene Möglichkeiten, das Maß an Zufriedenheit zu erhöhen:
Eine Haltung ist die der Dankbarkeit. In der Bibel finden wir Aufforderungen wie von Paulus, der sagt: „Seid dankbar in allen Dingen!“ oder „Sagt Dank allezeit für alles!“ Damit beschreibt er die innere Einstellung, das mit Dankbarkeit entgegenzunehmen, was mir begegnet. Oft merken wir erst durch körperliche Einschränkungen, wenn etwas sonst Selbstverständliches plötzlich nicht mehr gegeben ist, wofür wir eigentlich alles dankbar sein könnten. Dann wird uns bewusst, was alles gut ist: das Aufstehen morgens, der Schlaf in der Nacht, meine Gesundheit, Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle, meine Arbeit, das Essen … Dankbarkeit ist eine Herzenshaltung, die auch das scheinbar Selbstverständliche wahrnimmt.
Und dann gibt es noch die kleine Schwester der Dankbarkeit: die Bescheidenheit. Jesus bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Nehmt euch in Acht, niemand lebt davon, dass er viel besitzt!“ Es gibt eine Zufriedenheit, die unabhängig ist von materiellem Reichtum oder vom Bildungsgrad. Es ist eine Zufriedenheit, die aus der inneren Haltung der Bescheidenheit resultiert. Dass ich mir an dem, was ich habe, was ich erlebe, genügen lasse, während ich in einer Gesellschaft lebe, in der das Streben nach Mehr den Ton angibt: „Noch mehr, noch schöner, ein noch größeres Auto, ein eigenes Haus oder wenigstens die Eigentumswohnung … dann bist du glücklich!“ Doch das wird nicht passieren. Das Mehr macht uns nicht glücklich.
Das Glück liegt vielmehr in den kleinen Dingen: In dem Anruf von jemandem, von dem ich länger nichts gehört habe. Einer freundlichen Begegnung. Einem Schmetterling, der mich fasziniert, dem Vogelgezwitscher vor dem Fenster. Dafür sollten wir ein bisschen mehr Achtsamkeit entwickeln. Hier hilft zum Beispiel auch ein Glückstagebuch, in das ich abends drei Punkte aufschreibe, was heute schön war oder was mir gelungen ist. Das festzuhalten, verändert meine innere Haltung, es schärft meine Achtsamkeit für die kleinen Dinge im Alltag.
Dankbarkeit ist eine Herzenshaltung, die auch das scheinbar Selbstverständliche wahrnimmt.
Das sind Dinge, die ich aktiv tun kann für mehr Zufriedenheit. Kann ich aber auch aktiv etwas gegen meine Unzufriedenheit tun?
HIPLER: Wichtig ist, dass ich mir meine Unzufriedenheit zu- und auch eingestehen darf: „Mit diesen äußeren Gegebenheiten – beispielsweise meinem Job oder der Wohnsituation – bin ich wirklich nicht zufrieden, es ist anders als ich es mir wünsche.“ Das kann ich auch adressieren, und ich glaube, dass da tatsächlich Gott eine gute Adresse ist. Wenn wir in die Psalmen schauen, beklagen sich Menschen bei Gott. Allein indem ich meine Unzufriedenheit adressiere, erlebe ich ein Stück weit, wie innerer Friede darüber entsteht: „Dann ist es eben so. Ich mag es zwar nicht, ich rebelliere darüber, aber ich kann es ein Stückchen mehr annehmen.“
Vor Gott zu klagen entlastet und hilft, Schwieriges anzunehmen und zu integrieren. Würden Sie auch weitergehen und sagen, dass Christ zu sein glücklich macht?
HIPLER: Ich denke da an die Menschen, die von Jesus geheilt wurden: der Blinde, der auf einmal wieder sehen kann, der Gelähmte, der wieder auf die Beine kommt … Für die Geheilten fängt da nicht einfach das glückliche Leben an, sondern sie stehen erst einmal vor neuen Herausforderungen: Sie können nicht länger von Almosen leben, sie sind jetzt in der Selbstverantwortung. Und das bedeutet nicht immer nur großes Glück, sondern erfordert auch eine starke Veränderungsbereitschaft.
So ähnlich sehe ich das mit dem Christsein. Es fordert mich heraus, stößt einen Veränderungsprozess an. Dass man mit dem Glauben an Christus viel glücklicher würde, halte ich für einen Trugschluss. Was Christsein aber als Geschenk beinhaltet, ist ein innerer Friede – und das unabhängig von den Lebensumständen. Das Wort „Friede“ steckt ja auch in Zufriedenheit drin.
Paulus schreibt so schön in 2. Thessalonicher 3,16: „Der Herr des Friedens gebe euch Frieden allezeit und auf alle Weise.“ Man könnte es auch übersetzen mit „an jedem Ort“ oder „zu jedem Zeitpunkt“. So eine Zufriedenheit hat ihre Quelle in der Gottesbeziehung. Es ist ein inneres Zur-Ruhe-Kommen, das sagen kann: „Ja, ich bin einverstanden mit meinem Leben, auch wenn es an manchen Stellen nicht so ist, wie ich es mir vorstelle.“
Es heißt, Vergleichen macht unglücklich. Wie aber kann ich damit aufhören?
HIPLER: Ich stelle mir eine Situation am Anfang eines Gottesdienstes vor: Karin kommt, lebt allein, ist Ende dreißig und beobachtet, wie Christina mit ihrem netten Mann und ihren zwei süßen Kindern in der Reihe vor ihr Platz nimmt. Karin denkt: „Die hat es gut! Ihr Kuschelkonto ist gefüllt, sie weiß, wofür sie lebt, sie hat zwei Kinder, für die sie da ist, sie muss nicht allein die Verantwortung für ihr Leben tragen – wie sehr ich sie beneide!“ Zur gleichen Zeit denkt Christina: „Ach, da sitzt Karin, die hat es gut! Die wurde heute Nacht nicht wieder von Schnarchen geweckt, die hat Zeit für sich, erlebt nicht, wie einen die Kinder von morgens bis abends in Anspruch nehmen. Wie gerne hätte ich noch mal so eine Lebenssituation wie sie!“
Da wird deutlich: Jeder vergleicht sich mit dem anderen und glaubt, dem anderen ginge es besser. Da ist die Falle und das zieht uns runter. Stattdessen glaube ich, ist es wichtig anzuerkennen: Karin wie auch Christina stehen vor ihren ganz eigenen Herausforderungen. Ihr Leben hat positive wie auch negative Seiten. Das Leben des anderen ist anders, aber nicht unbedingt besser. Es stimmt: Alles Übel kommt aus dem Vergleich. Also, Schluss damit!
Dass man mit dem Glauben an Christus viel glücklicher würde, halte ich für einen Trugschluss.
Ist Vergleichen andererseits nicht auch ein Schlüssel für Dankbarkeit? Ohne Vergleich wäre mir ja zum Beispiel nicht bewusst, dass es ein Vorrecht ist, in einem warmen, weichen Bett zu schlafen …
HIPLER: Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Wenn wir schauen, was es in ärmeren Ländern vielleicht nicht gibt – das frische Wasser aus dem Hahn, die gute Gesundheitsversorgung – dann kann und sollte uns das sehr dankbar stimmen. Das vermeintlich Selbstverständliche bei uns ist bei weitem nicht selbstverständlich. Das Problem ist nur: Diese Art von Vergleich stellen wir eher nicht an. Auch wenn uns das sehr guttun würde. Wir sind so gestrickt, sehr defizit-orientiert zu denken.
Woher kommt das?
HIPLER: Da könnte man im Blick auf die Entwicklungsgeschichte sagen: Der Mensch musste immer schauen, wo die Gefahr lauert. Dass wir immer auf Fehler fixiert sein mussten, auf das, womit es uns nicht gutgeht oder was fehlt, ist ganz tief in uns eingegraben. Darüber haben wir die Fähigkeit ein Stück weit verlernt, dankbar wahrzunehmen, was wir haben.
Was uns aber auch oft hindert, ist ein ganz starkes Bedürfnis nach Kontrolle: Wir möchten gerne alles im Griff haben – am liebsten auch das Glück. Aber Kontrolle ist eine Illusion. Jesus sagt: „Wer sein Leben erhalten will – sprich: die Kontrolle über alles haben will –, der wird es verlieren.“ Und ganz verrückt sagt er dann: „Wer aber sein Leben verliert, wird es gewinnen.“ Wer also den Mut hat, sich ihm anzuvertrauen, loszulassen und die Kontrolle abzugeben, der findet das Leben, Glück und Zufriedenheit. Da ist es wieder, dieses Paradoxon.
Und auch das ist ja wieder ein Sprung: Zu vertrauen, dass das Loslassen nicht ins Haltlose führt, sondern dass dadurch etwas zu mir kommt …
HIPLER: Das hat wieder mit einer inneren Haltung zu tun. Wir wollen alles im Griff haben – Beziehungen, das Leben, Altersvorsorge, materielle Sicherheit, Gesundheit. Wir tun viel dafür, dieses Gefühl der Kontrolle zu bekommen, darüber verkrampfen wir, werden unzufrieden und zu Getriebenen. Und im Gegensatz dazu sagt Jesus: „Lass einfach mal los! Vertraue mir, vertraue dich mir an. Vertraue dich dem Leben an.“
Wäre Letzteres die Formulierung für jemanden, der keinen Glaubensbezug hat?
HIPLER: Ja. Ich würde jeweils fragen: „Was sind deine Glaubenssätze, worauf vertraust du?“ Wer nur auf sich vertraut und auf die eigene Kontrolle, der geht in eine Sackgasse. Es ist furchtbar anstrengend! Genauso wie für das eigene Glück verantwortlich zu sein. Wer aber sagt, ich glaube an etwas Gutes oder an einen guten Gott, der kann viel gelöster, gelassener und vertrauensvoller mit dem Leben und seinen Widrigkeiten zurechtkommen.
Wer den Mut hat, sich Gott anzuvertrauen und die Kontrolle abzugeben, der findet das Leben, Glück und Zufriedenheit.
Sie haben vorrangig von Zufriedenheit als innerer Haltung gesprochen. Sind aber nicht auch Faktoren wie Bewegung, Ernährung, Hormone oder Vitamine wichtig für ganzheitliches Wohlbefinden und somit auch Zufriedenheit?
HIPLER: Auf jeden Fall. Ich nenne das „Body Budget“, also Körperkonto. Da kann ich Einzahlungen tätigen, etwas in meinen Körper investieren wie genügend Schlaf, gesunde Ernährung, Bewegung, Sport … Die tragen zu meinem Wohlbefinden bei. Umgekehrt kann ich auch Abbuchungen vornehmen, indem ich meine Gesundheit vernachlässige, mich von äußeren Faktoren stressen lasse, mich nicht ausreichend bewege und so weiter. Damit beeinträchtige ich meinen Körper und auch mein Wohlempfinden.
Und hängt Glück nicht auch von weiteren äußeren Faktoren ab? Von der Familiensituation, guten Freundschaften, einem gewissen Wohlstand und Gesundheit?
HIPLER: Äußere Rahmenbedingungen begünstigen oder erschweren Zufriedenheit. Wenn ich eine schwerwiegende chronische Erkrankung habe, wenn ich verwitwet bin oder verlassen wurde, dann grenzen mich diese Umstände eher ein. Trotzdem bin ich davon überzeugt: Die Zufriedenheit hängt nicht von den äußeren Umständen ab. Wenn wir in wirtschaftlich weniger entwickelte Länder schauen, finden wir viel mehr Menschen, die glücklich sein können, obwohl sie gerade mal das Nötigste zum Leben haben, während wir im Überfluss leben und oft mit sehr unzufriedenen Mienen durch den Alltag laufen. Das Geheimnis liegt also tiefer und hat mit dem zu tun, was wirklich wichtig ist: Gute Beziehungen, Dankbarkeit für das, was ich habe, Bescheidenheit und letztlich ein innerer Frieden, der nicht von dieser Welt ist. Sondern einer, der, wie Paulus es formulierte, „höher ist als unser menschliches Denken“. Etwas, das uns trotz aller Umstände zufrieden sein lassen kann.
Herr Hipler, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Andrea Specht.